Faszienpflege
Früher wurden unsere faszinierenden Faszien lieblos “Bindegewebe” genannt
Die Forschung zeigt aber, dass sie kein einfaches Füllmaterial sind: Faszien sind unser größtes Sinnesorgan und ihr Zustand beeinflusst maßgeblich unser physisches und psychisches Wohlbefinden!
“Wir sind so alt wie unser Bindegewebe” und “wer sich nicht bewegt, verklebt”, sagt Dr. Robert Schleip, der momentan führende deutsche Forscher zu dem Thema. Faszien können sich eigenständig zusammenziehen und reagieren stark auf Stresshormone. Alles deutet darauf hin, dass Schmerzen in den Faszien entstehen. Hierin liegt eine große Chance, das Thema Schmerzlinderung selbst in die Hand zu nehmen.
Wenn man sich fragt, wie viele Faszien es im Körper gibt, lautet die Antwort: EINE EINZIGE! Alles ist mit allem verbunden. Faszien stellen die Verbindung aller Körperteile miteinander her.
Die Faszien sind die Agenten deiner Körperwahrnehmung
Speziell die Faszienhüllen um und in den Muskeln sind extrem sensibel. Sie sind dicht gespickt mit Rezeptoren, die jede deiner Bewegungen und Lageveränderungen beäugen und weitergeben. Diese Informationen über deinen Körper nennen wir Tiefensensibilität oder Interozeption. Die diesbezüglichen Signale werden im Insula deines Gehirns weiterverarbeitet, dort, wo Körperwahrnehmung mit Gefühlen (!) verknüpft werden. Körperwahrnehmung und Körperselbstbild sind fundamentale Phänomene: sie spielen für viele neurologische aber auch psychologische Krankheitsbilder eine große Rolle. Das erklärt, warum Bewegung generell und Faszienpflege im Besonderen eine harmonisierende Auswirkung auf die Psyche hat. Deshalb: Kein Faszientraining ohne achtsames Spüren. Baue feine Änderungen in deine Bewegungen und dein Training ein: Wechsele Lage und Richtung. Gestalte deine Bewegungen genussvoll und spannend. Lasse dich nicht ablenken beim Üben, konzentriere dich aufs Wahrnehmen.
Verklebung der Faszien bedeutet “Schmerz”
Mangelnde Bewegung ist EIN wesentlicher Faktor, der zu Verklebung der Faszien führt. Hat sich eine Verklebung erstmal an einer Stelle “festgesetzt”, wirkt sich das auf den Rest des Körperweiten Faszien-Signalsystems aus. Die gute Nachricht ist, dass Faszien selbst jahrzehntelangen Bewegungsmangel gnädig vergeben. Es gab eine Studie mit 70-jährigen Patienten, die erstaunliche Erfolge nach regelmäßigem und geduldigem Faszientraining aufwies. Man muss aber mindestens ein Jahr regelmäßig (Richtwert minimum 3 x 10 Minuten wöchentlich) dranbleiben. Dann ist eine 80 %-ige Regeneration möglich.
Faszientraining ist nicht gleich Muskeltraining
Zwar bewegen und trainieren viele Muskelübungen die Faszien automatisch mit, aber nicht alle Faszientypen werden berücksichtigt (es gibt parallele, serielle und querverlaufende Faszien). Vor allem die Parallel zum Muskel verlaufenden Faszien werden mit normalem Krafttraining weder erreicht, noch gedehnt. Wir erreichen sie aber mit Dehnübungen und Dehnspannung (im Dehnzustand den Muskel noch einmal kurz anspannen).Um alle Faszientypen mit unserem Training anszusprechen und zu pflegen, kann man zusammenfassen:
Die ideale Faszien-pflege setzt sich zusammen aus
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Kraftübungen
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schmelzender Dehnung (wie beispielsweise im Yin Yoga)
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elastisch-dynamischen Bewegungen, die du in der Endposition abfederst (HIER)
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(Selbst-) Massagen: das mechanische Ausrollen oder Auspressen zwecks Flüssigkeitsaustausches. Das Arbeiten mit Bällen oder Rollen erfüllt genau diesen zweck (HIER)
Myofasziale Zugbahnen
-spielen für die Koordination und Geschmeidigkeit eine besondere Rolle. Daher werden sie in der Faszienpflege besonders angesteuert und aktiviert. Diese faszialen „Fernverbindungen“ sind:
- Die oberflächliche Rückenlinie: verläuft von den Füßen (Plantarfaszie) über den Rücken, Nacken, Schädel bis zu den Augenbrauen. Verantwortlich für aufrechte Haltung, und Streckung des Oberkörpers nach oben und hinten.
- Die oberflächliche Frontallinie: Verläuft von den Zehen bis zum Becken, dann über den Bauch bis in den Hals (Halswender) und zum Schädel. Sie wird zwar am Becken geteilt, ist jedoch im aufrechten Stand wie eine einheitliche Zuglinie. Sie macht Beugen, Heben und Senken des Oberkörpers möglich.

- Zwei Laterallinien: Verlaufen jeweils seitlich am Körper und klammern beide Außenseiten ein. Sie beginnen an der Außenseite des Fußes, gehen am Fußknöchel herum , an der Außenseite des Beins entlang, dann wie ein Korbgeflecht um die Rippen herum bis zum Kopf. Sie sorgen für Balance, zw. Vorne und hinten, fixieren Rumpf und Beine, sind an der Seitwärts neigung des Körpers beteiligt und bremsen zu starke Neigungen und Rotationen.
- Die Spirallinie: Windet sich um den ganzen Körper (macht ein X am Bauch) und ermöglicht Rotation und gegenläufige Bewegungen. Gewährleistet Gleichgewicht in allen Ebenen, sorgt für exakte Spurführung beim Gehen und stabilisiert den Körper.
Das Thema Faszien: warum es nicht nur ein weiterer Fitnesstrend ist
„Ein Trend ist (Faszientraining) nicht. Ein Trend, gerade in der Fitnessszene oft zu beobachten, kommt und geht (…) Das aktuelle Interesse an den Faszien basiert nicht auf einer Bewegungsidee. Es basiert auf Untersuchungen und in diesem Zusammenhang auf einer Neubewertung einer seit langem bekannten (Bindegewebs-)Struktur im Körper. Erst seit einigen Jahren ist die Auflösung bildgebender Verfahren fein genug, um eine präzise Messung oder Darstellung der Faszien (…) zu ermöglichen“.